Als ich 2018 das erste Mal über den Equal Pay Day schrieb, war klar: Frauen verdienen in Deutschland systematisch weniger als Männer. Sieben Jahre später zeigt sich ein gemischtes Bild. Ja, die Lohnlücke hat sich etwas verkleinert, ja, es gibt mehr Frauen in Führungspositionen. Aber sind wir wirklich auf dem Weg zur Gleichberechtigung? Ein Blick auf die aktuellen Zahlen und ihre Bedeutung zeigt: Es bleibt viel zu tun.
2018 verdienten Frauen im Schnitt 21 % weniger als Männer – unbereinigt, also ohne Berücksichtigung von Berufswahl, Teilzeit oder Karriereverläufen. Heute liegt dieser Wert bei 16 %. Ein Fortschritt? Ja. Aber nur auf den ersten Blick. Denn der bereinigte Gender Pay Gap – also der Unterschied zwischen Frauen und Männern mit vergleichbarer Qualifikation und Tätigkeit – bleibt mit 6 % konstant, nachdem es in 2022 sogar nochmal einen Anstieg auf 7% gab. Das bedeutet: Selbst wenn Frauen die gleichen Voraussetzungen mitbringen, verdienen sie im Schnitt weniger. Auch bemerkenswert: In den neuen Bundesländern ist der bereinigte Gender Pay Gap weiterhin mit 8% deutlich höher.
Die Schlussfolgerung, dass der „echte“ Gender Pay Gap also „nur“ 6% betrage führt jedoch in die Irre. Ein Hauptproblem liegt in der strukturellen Abwertung von Berufen, die als „typisch weiblich“ gelten. Pflegekräfte, Erzieherinnen oder Sozialarbeiterinnen leisten essenzielle Arbeit, werden aber schlechter bezahlt als Beschäftigte in technischen oder wirtschaftlichen Berufen.
Frauen in Führung: Mehr, aber nicht genug
2018 war nur jede achte Führungskraft in einem DAX-Unternehmen weiblich. Heute ist es immerhin jede vierte. Das zeigt: Die Forderungen nach Diversität in den Führungsetagen haben Wirkung. Und doch bleiben Frauen in Top-Positionen in der Minderheit. Und: Der Frauenanteil bei Neurekrutierungen von Frauen in Führungspositionen ist im Vergleich zum Vorjahr deutlich gesunken. Bezieht man auch die börsennotierten Unternehmen in MDAX und SDAX ein, stagniert die Veränderung zum Vorjahr bei 19,7%. Immerhin: Frauen in Vorständen verdienen im Schnitt aktuell mehr als Männer. Können Frauen etwa doch besser verhandeln?
Auch im europäischen Vergleich hinkt Deutschland hinterher und landet nur auf Platz 22 der 27 Mitgliedstaaten, wenn man alle Führungspositionen untersucht. Spitzenreiter ist Schweden mit 44%. Im Vergleich der 40 größten Börsenunternehmen ist Deutschland sogar Vorletzter. Die größten Frauenanteile gibt es in Großbritannien (32%), Frankreich (29%) und Schweden (28%). Was fehlt in Deutschland? Ein konsequenterer politischer Rahmen und Unternehmen, die echte Chancengleichheit schaffen.
Politik: Frauenanteil bewegt sich kaum
2018 lag der Frauenanteil im Bundestag bei 30,7 %. Im gerade neu gewählten Bundestag werden es ab 2025 32,4 % sein. Zwar ist das ein Zuwachs. Gegenüber dem alten Bundestag ist es allerdings sogar ein Rückgang von 35,7% – vor allem aber ist das immer noch weit entfernt von Gleichverteilung. Der Bundesrat zeigt mit 34,8% ein ähnliches Bild.
Elternzeit und Gender Care Gap: Kleine Fortschritte
Seit 2015 ist der Väteranteil an Elterngeld-Beziehenden kontinuierlich angestiegen von 20,9% auf 26,2% 2023. Allerdings ist die durchschnittliche Dauer des geplanten Elterngeldbezugs enorm: Während diese bei Frauen bei 14,3 Monaten liegt, planen Väter gerade einmal 3,7 Monate ein.

Beim Gender Care Gap wird die mangelnde Gleichberechtigung ebenso stark deutlich: Frauen leisten täglich 1:19 Stunden oder 44 % mehr unbezahlte Arbeit als Männer. Sie übernehmen weiterhin die Hauptlast bei Kinderbetreuung, Haushalt und Pflege – mit erheblichen Folgen für Karriere und finanzielle Unabhängigkeit. Wer nach Feierabend den zweiten Job im Haushalt schiebt, hat weniger Energie für Überstunden, Weiterbildungen oder Networking. Das muss sich ändern – und zwar nicht nur individuell in den Familien, sondern auch strukturell, durch bessere Betreuungsangebote und ein Umdenken in der Arbeitswelt, was z.B. Arbeitszeiten angeht.
Teilzeit bleibt Frauensache
Etwa jede zweite Frau arbeitet in Teilzeit, bei Männern liegt der Anteil dagegen nur bei 13%. Dieser Unterschied ist ein wesentlicher Faktor für die Einkommenslücke. Viele Frauen reduzieren ihre Arbeitszeit, weil es an Betreuungsangeboten fehlt oder weil sie familiäre Aufgaben übernehmen. So arbeiten ganze 67% der Mütter in Teilzeit, aber nur 9% aller Väter. Teilzeit bedeutet oft: Weniger Gehalt, weniger Aufstiegschancen, weniger Rente. Die Frage ist: Warum sind es fast immer die Frauen, die diesen Preis zahlen?
Einstiegsgehälter: Un-Equal Pay von Anfang an
Wer nun hofft, dass sich das Gender Pay Gap Problem im Laufe der Zeit von alleine auflösen wird, weil es heute beim Berufseinstieg keine Benachteiligung von Frauen mehr gäbe, der irrt. Bereits beim Berufseinstieg klafft eine Lücke: Männer verdienen in den ersten drei Jahren bei Vollzeitbeschäftigung im Schnitt 7 % mehr als Frauen in vergleichbaren Positionen in Deutschland – bei gleichem Bildungs- und Erfahrungshintergrund! Der Unterschied ist besonders groß in Berufen mit variabler Vergütung, wie im Vertrieb oder Finanzsektor. Wer mit weniger Gehalt startet, hat langfristig schlechtere Chancen auf Gehaltssprünge – die Weichen für den Gender Pay Gap werden früh gestellt.
Unternehmensgründungen: Rückschritte statt Fortschritte
2018 wurden 37% der neuen Unternehmen von Frauen gegründet. Bis 2023 stieg dieser Anteil laut KfW-Gründungsmonitor auf 44%, was einen Fortschritt darstellt. Besonders in der Tech- und Startup-Szene bleiben Frauen aber deutlich unterrepräsentiert, während der Frauenanteil im Bereich Sozialunternehmen besonders hoch ist. Bei Gründungen in den Freien Berufen beträgt der Frauenanteil 55%.
Best Practices Geschlechtergerechtigkeit
Wenn man sich all diese Zahlen und Entwicklungen ansieht, muss man feststellen, dass es zwar vorangeht, aber noch viele Monde dauern wird, bis volle Gleichberechtigung erreicht werden kann. Was wäre nötig, um die Geschlechtergerechtigkeit in Deutschland tatsächlich voranzubringen?
Ein Blick ins europäische Ausland lohnt sich:
- In Schweden sorgen verbindliche politische Rahmenbedingungen wie Elternzeitmodelle mit einer festen Quote für Väter sowie umfangreiche und bezahlbare Kinderbetreuungsangebote dafür, dass Care-Arbeit zwischen Frauen und Männern deutlich fairer verteilt wird.
- Während in Deutschland erst gesetzliche Quoten echte Fortschritte gebracht haben, hat Großbritannien gezeigt, dass auch ein freiwilliger Ansatz erfolgreich sein kann – sofern er von hoher Transparenz, klaren Zielsetzungen, konsequentem Monitoring und gezielten Förderprogrammen wie Mentoring begleitet wird. Deutschland könnte davon lernen, diese Instrumente noch stärker zu integrieren und auszubauen.
- Neben Schweden und Großbritannien zeigen auch Länder wie Norwegen, Island, Finnland und Frankreich, dass Gleichberechtigung besonders erfolgreich ist, wenn politische Rahmenbedingungen verbindliche Quoten, transparente Gehaltsstrukturen und umfangreiche Unterstützungsangebote wie Mentoring und flexible Elternzeitregelungen umfassen.
Fazit
Die bisherigen Maßnahmen zur Gleichstellung in Deutschland zeigen nur begrenzte Fortschritte. Es wird deutlich, dass individuelle Bemühungen alleine nicht ausreichen. Um eine nachhaltige Veränderung zu erzielen, braucht es einen gesellschaftlichen und politischen Bewusstseinswandel. Dies bedeutet nicht nur verbindliche politische Vorgaben, sondern auch ein Umdenken in Wirtschaft und Gesellschaft darüber, welchen Wert wir Arbeit und Führung beimessen – unabhängig vom Geschlecht. Gleichberechtigung ist kein Frauenthema, sondern eine zentrale gesellschaftliche Herausforderung, die alle betrifft und von der letztlich alle profitieren. Denn Unternehmen mit mehr Diversität sind erfolgreicher. Gerade jetzt, da in den USA und anderen Ländern Diversität wieder zurückgedrängt wird, kann dies für Deutschland ein echter Wettbewerbsvorteil werden.